Dreiundvierzig und kein bisschen größer!

Mannoman, jetzt bin ich dreiundvierzig und immer noch klein wie drei. Irgendwas ist schiefgelaufen. Hab mich wohl nicht richtig angestrengt. Oder nicht genug gegessen. Das vermutete zumindest ein alter Mann einmal. Das war zu Besuch in Polen, auf dem Land, und der Mann sprach ein bisschen deutsch. Gerade so viel, um mir ein paar Tipps für’s Wachsen mit auf den Weg zu geben: Mehr fette Wurst essen! Und viel Spinat! Die Neuköllner Jungs hier auf den Kinderfahrrädern meinten das allerdings ernst. „Wie alt bist Du? Dreiundvierzig? Und dann immer noch so klein?“ fragten sie fassungslos und ein bisschen vorwurfsvoll, als sie mich an der Treptower Straße beim Aussteigen aus dem Auto erwischten. Weiterlesen

Mondkalb – Zeitschrift für das Organisierte Gebrechen – Blog. 11. 4. 2018

Schwerbehindert forever

03/2014. Jahrelang hatten mich dieser Monat und diese Jahreszahl begleitet. Sie stand direkt über meinem Passfoto. Darauf ich: Spitzes Kinn, schüchternes Lächeln, siebzehn, Dauerwelle. Darunter meine krakelige Teenager-Unterschrift. Damals, Anfang der 90er, als ich den Ausweis bekam, da hatte dieses Jahr – 2014 – einen irrealen Klang. 2014, das war abstrakte Zukunft. Das würde eine Zeit sein, in der vielleicht Autos fliegen können, alle Tiere ausgestorben sein und die Menschen Astronautennahrung essen würden. März 2014. Das würde die Zeitspanne sein, in der mein Schwerbehindertenausweis abläuft. Drehte ich den Ausweis um, blickte ich auf alle Insignien des Schwerbehindertenadels.

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Mondkalb – Zeitung für das Organisierte Gebrechen, 2014

Politisches Statement auf zwei Beinen. Schriftsteller Kenny Fries blickt kritisch auf Identitäten und kann doch nicht von ihnen lassen

Schwul, behindert und jüdisch: „Mein Mann nennt es meinen Nazi-Dreier“, sagt Fries und reißt den nächsten „schwarzen“ Witz über mangelnde Barrierefreiheit in Konzentrationslagern. Als der US-Amerikaner 1960 mit verdrehten und verkürzten Beinen geboren wurde, fiel seine Mutter in Ohnmacht und sein Vater lief schreiend durchs Krankenhaus: „Wir haben einen Freak bekommen!“ Als der Schock verdaut war, wurde ihr Sohn das erste behinderte Kind auf einer New Yorker Regelschule. Es folgten Literatur- und Theaterstudium, zahlreiche Essays, Gedichtbände, Theaterstücke und Anthologien. Momentan lebt Fries im kanadischen Toronto und unterrichtet Kreatives Schreiben. Sein aktuelles Buchprojekt führt ihn nach Deutschland. Für mondkalb wirft das einige Fragen auf. Weiterlesen
Interview Mondkalb – Zeitung für das Organisierte Gebrechen, 2014

Das andere dominiert uns nicht. Interview mit Sven Drebes vom Berliner Bündnis der behindert & verrückt feiern mad and disability pride parade

Was der lesbisch-schwulen Community der Christopher Street Day, ist den behinderten Menschen die Disability Pride Parade. Zumindest im US-amerikanischen Chicago, wo die Parade in diesem Jahr schon zum elften Mal stattfindet. Im kanadischen Toronto hat eine andere Veranstaltung eine sogar noch längere Tradition: Das Mad Pride Festival findet dort seit 1993 statt. Gemeinsam ist beiden Events, dass ihre Teilnehmer_innen das medizinische Modell von Behinderung und psychischen Krisen ablehen. Statt ihre Eigenschaften als Defizit zu verstecken, normalisiseren oder heilen zu wollen, feiern sie sie als ihre Art zu leben. Weiterlesen

Interview Mondkalb – Zeitschrift des Organisierten Gebrechens, 2014

Fit for fun

Gefangen im Dickicht der Physiotherapie

Sie trägt eine randlose Brille und ist so 50 plus. „Ich bin die Rita. Sie haben einen Termin bei mir.“, sagte sie und führt mich in einen schmalen Raum mit einer Liege und einer Topfpflanze. Vorhänge verhängen die Fenster, das gedimmte Licht hält die Außenwelt auf Abstand. „Polio, oder?“, fragt sie mit Kennerinnenblick, nachdem ich meinen Pullover ausgezogen habe. „Nee, Glasknochen“, kontere ich lässig.

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Mondkalb – Zeitschrift für das Organisierte Gebrechen, #1/2012

Übersehene Gewalt

Dass sie häufig Opfer von Gewalt und sexualisierter Gewalt werden haben behinderte Frauen schon vor Jahrzehnten publik gemacht – doch interessiert hat das nur wenige. Eine aktuelle Studie der Universität Bielefeld offenbart erst jetzt das ganze Ausmaß der Gewalt.

„Geschlecht behindert – besonderes Merkmal Frau“. So nannte im Jahr 1985 eine Gruppe von Autorinnen mit Behinderungen ihr Buch – eines der ersten über die Lebenssituation behinderter Frauen. Der Titel bringt es auf den Punkt: Als behindert zu gelten überschattet alles andere in der Wahrnehmung der nichtbehinderten Welt. Behinderung schlägt Gender – das wissen nicht nur behinderte Frauen, sondern auch behinderte Männer, die ebenso entsexualisiert und als Neutren wahrgenommen werden.

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Mondkalb – Zeitschrift für das Organisierte Gebrechen, 2012

Es sollte auch Spaß machen

Birgit Rothenberg, promovierte Diplom-Pädagogin, Beraterin für behinderte Studierende an der Uni Dortmund und Lehrende im Bereich Disability Studies, Vorstandsmitglied des Dortmunder Vereins „MOBILE – Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V.“ sowie Moderatorin des Dortmunder behindertenpolitischen „Aktionskreises“ erzählt von den Anfängen der Behindertenbewegung in Westdeutschland. Weiterlesen

Interview Mondkalb – Zeitung für das Organisierte Gebrechen, #1, 2012

Von der Fürsorge zur Selbstbestimmung. Wie behinderte Menschen in der BRD undankbar wurden

Weil sie den Anblick einer Gruppe behinderter Menschen an ihrem Urlaubsort hatte ertragen müssen, hatte eine Frau gegen ihren Reiseveranstalter geklagt. Mit Erfolg: Das Frankfurter Landgericht sprach ihr im Februar 1980 Schadensersatz zu. Gemeinsam mit den Behinderten den Speisesaal benutzen zu müssen sei unzumutbar, heißt es in der Urteilsbegründung: „Es ist nicht zu verkennen, dass eine Gruppe von Schwerbehinderten bei empfindsamen Menschen eine Beeinträchtigung des Urlaubsgenusses darstellen kann.“ Weiterlesen
Mondkalb – Zeitung des Organisierten Gebrechens, #1 2012

Der Tag an dem mein Rollstuhl fortging

Es war stürmisch. Der Herbst wollte sich nicht länger verstecken. Höhnisch rann der Regen in senkrechten Strömen die Scheiben des ICEs herunter. Meine Laune war dementsprechend finster. Gerade hatte ich einen von diesen miesen Filterkaffees erstanden, mit denen die Bahn ihre Kunden für knapp drei Euro zu demütigen pflegt. Schräg gegenüber war so eine Businesstante schlafend mit dem Kopf auf die Zugtischplatte gesunken. Ich stellte mir die Melange ihres zerlaufenen Make-Ups auf der Laptoptastatur vor. Weiterlesen

Mondkalb – Zeitung des Organisierten Gebrechens, #1 2011

Lachen über das Andere. Claudia Gottwald unterzieht den Behindertenwitz einer historischen Analyse

Im Satiremagazin Titanic wird Rattelschnecks arm- und beinloser Comic-Held „Rümpfchen“ im Lampengeschäft vergessen und als besonders verrückte neue Designerkreation bewundert. In der nächsten Folge werden wir ZeugInnen von Rümpfchens erfolglosen Schwimmversuchen im Hallenbad. Darüber lachen gemeinhin nur die ganz hartgesottenen Fans des schwarzen Humors – oder behinderte … . Auch die LeserInnen dieser Zeitung werden zuweilen vielleicht ordentlich geschluckt haben ob der „bösen“ Selbstironisierung unserer Behinderungen. Warum eigentlich? Warum ist es immer noch „tabu“ über Behinderung zu lachen – und zu welchen Zeiten hatte man damit kein Problem? Weiterlesen

Mondkalb – Zeitung für das Organisierte Gebrechen, #1 2011