Mein Leben als Cyborg

Für Technik interessiere ich mich eigentlich null. Computer? Hauptsache sie funktionieren. Autos? Sollen halt fahren können. Irgendwelche neuen Gadgets? Mir egal. Dennoch: Technik ist aus meinem Leben nicht wegzudenken. Unterm Hintern der Rollstuhl mit vier Rädern, in den Ohren High-Tech-Hörgeräte, die meine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit mit der Schallstärke eines Presslufthammers überwinden. Nachts pumpt ein Atemgerät passgenau Luft in meine Lungen, damit sie weiterhin einigermaßen gut funktionieren. In meinen Oberschenkeln stabilisieren Metallstäbe meine brüchigen Knochen. Ich könnte also behaupten, ich sei ein Cyborg, ein »Cybernetic Organism«, ein Mischwesen aus Mensch und Maschine. Damit könnte ich mich auf eine Stufe stellen mit coolen Science-Fiction-Heldinnen oder Computerspielfiguren. Deren Körper werden von der Technik nicht nur ergänzt, sondern verbessert. Weiterlesen

ND Der Tag / nd-aktuell, 3.1.2022

Ableismus ist mehr als Behindertenfeindlichkeit

„Wir forschen selbst“, heißt das Motto der Disability Studies. Wo sie früher Objekte der Wissenschaft waren, nehmen behinderte Menschen die Sache jetzt in die Hand und untersuchen die Gesellschaft aus ihrer Perspektive. Rebecca Maskos ist Wissenschaftlerin und freie Journalistin. Sie arbeitet daran, die Disability Studies an deutschen Hochschulen zu etablieren. In diesem neuen Forschungszweig geht es darum, das Thema Behinderung aus der Perspektive behinderter Menschen zu betrachten. Welchen Begriff von Behinderung hat die Gesellschaft? Wo geschieht Diskriminierung täglich? Wie ist das Verhältnis von Leistungsgesellschaft und Inklusion? Nachhören

Podcast „echt behindert!“, Nr. 15, Deutsche Welle, 4. März 2021
Transkript des Podcasts

Reclaim Behinderung! Warum es völlig ok ist, „behindert“ zu sagen.

„Voll behindert, du Spast!“ schallt es vom Schulhof rüber, und ich denke: Meinen die mich? Natürlich nicht. Obwohl ich‘s ja bin. Okay, „Spastiken“ habe ich jetzt nicht, aber „voll behindert“, ja, das bin ich schon. 100 Prozent Schwerbehinderung steht im Ausweis, und man sieht‘s mir auch an, mit allem Pipapo: Kleinwüchsigkeit, Hörgeräte, Rollstuhl. Als ich irgendwann mal einen Jugendlichen fragte, ob seine Kumpels zufällig mich meinen mit „voll behindert, Alter“, sagte der mir völlig entgeistert: „Nein, das sagt man einfach so!“ Schon klar. Weiterlesen

Edition F, Kolumne „Reboot the System“

Der Versuch zur Enthinderung der Wissenschaft. Ein Überblick über die Disability Studies in den USA aus der Sicht einer Gaststudentin

Als ich im Sommer 2000 zum ersten Mal in das Institut in Chicago rollte, in dem ich mein Auslandsstudienjahr verbringen sollte, traute ich meinen Augen kaum: abseits vom Hauptcampus, in einem Gebäude, das außen wie ein Büro, und innen wie ein Krankenhaus aussah, versammelte sich eine kleine Handvoll buntgemischter Leute unterschiedlichen Alters, einige mit, einige ohne Behinderung. Sie allein waren meine zukünftigen Kommilitoninnen und Kommilitonen. Wie in meinem Studiengang Psychologie, „zuhause“, an der Uni Bremen, ging es hier nicht zu: statt mit 20 oder 30 saß ich mit 5 oder 6 von ihnen in einem Arbeitsraum. Statt einer Cafeteria oder Mensa gab es nur ein paar Automaten, statt der mir in Deutschland bekannten heimeligen Zettelbretter und Grafitti glänzten hier die gekachelten Flure – denn schließlich befand ich mich auch weniger in einem typischen College, sondern eher in einem Büro- und Arbeitsgebäude. Und statt der unverbindlichen Leseempfehlung zwischen den Seminarsitzungen gab es hier schon mal klaglos 2-3 Artikel plus einem Buch Pflichtlektüre als „Hausaufgabe“ – kein Wunder, nahmen doch alle Dozenten wie Studierende ihr Fach sehr ernst. Hier arbeiteten alle – Studierende und Lehrende – an einem gemeinsamen Projekt: das traditionelle Verständnis von Behinderung durcheinander zu bringen und auf neue Beine – bzw. Räder – zu stellen.
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Psychologie & Gesellschaftskritik, 2005, 29 (113), S. 127-139