Mein Leben als Cyborg

Für Technik interessiere ich mich eigentlich null. Computer? Hauptsache sie funktionieren. Autos? Sollen halt fahren können. Irgendwelche neuen Gadgets? Mir egal. Dennoch: Technik ist aus meinem Leben nicht wegzudenken. Unterm Hintern der Rollstuhl mit vier Rädern, in den Ohren High-Tech-Hörgeräte, die meine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit mit der Schallstärke eines Presslufthammers überwinden. Nachts pumpt ein Atemgerät passgenau Luft in meine Lungen, damit sie weiterhin einigermaßen gut funktionieren. In meinen Oberschenkeln stabilisieren Metallstäbe meine brüchigen Knochen. Ich könnte also behaupten, ich sei ein Cyborg, ein »Cybernetic Organism«, ein Mischwesen aus Mensch und Maschine. Damit könnte ich mich auf eine Stufe stellen mit coolen Science-Fiction-Heldinnen oder Computerspielfiguren. Deren Körper werden von der Technik nicht nur ergänzt, sondern verbessert. Weiterlesen

ND Der Tag / nd-aktuell, 3.1.2022

#AbleismTellsMe: Behinderte Menschen teilen Diskriminierungserfahrungen

Es passiert alltäglich und überall. In der Familie, unter Freund*innen, im Job, auf der Party und im Club. Normative und stereotype Bilder von Behinderung und Nichtbehinderung werden uns um die Ohren gehauen. Wir werden mal für inkompetent, bedauernswert, leidend und hilflos, mal für bewundernswert und übermenschlich gehalten. Auf Twitter tauschen sich derzeit behinderte Menschen über ihre Erfahrungen mit Diskriminierung unter dem Hashtag #AbleismTellsMe aus. Weiterlesen

Edition F, 6. September 2020

Pränataldiagnostik: Ich bin ein Risikomensch

Wäre meine Mutter heute mit mir schwanger, sie wäre eine „Risikoschwangere“. Allein schon, weil sie fünfunddreißig war, als ich zur Welt kam. „Risikoschwangerschaft“: Nicht nur mögliche Komplikationen während Schwangerschaft und Geburt sind damit gemeint. Auch angeborene „Fehlbildungen“: Je älter eine Frau ist, wenn sie ein Kind erwartet, desto wahrscheinlicher. „Muss DAS denn heute noch sein?“ – eine Frage, die sich meine Mutter heute mit mir als Kind auf dem Spielplatz wohl oft anhören müsste. Weiterlesen

Edition F, Kolumne „Reboot the System“
Dieser Text wurde für den Alternativen Medienpreis 2020 in der Kategorie „Zukunft“ nominiert.

Kein Sex ist auch keine Lösung. Oder: Mein langer Weg in fremde Betten

Einen Text über Sex schreiben soll ich. Ich? Sex? – Vergiss es. Vor ein paar Jahren noch wäre das meine Reaktion gewesen. Eins kann ich schon mal vorwegnehmen: Jetzt, mit 40, gibt’s das in meinem Leben, Sex. Über den zu schreiben aber scheint mir aber ein bisschen langweilig. Denn – Überaschung – so anders als der von Normalos ist der wahrscheinlich gar nicht. Mein großes Lebensthema war lange Zeit eher: Kein Sex.

Ich – das ist eine kleinwüchsige Frau, rollstuhlfahrend. Die Glieder krumm, der Rücken auch, vorne steht die Brust irgendwie so vor (das kommt vom krummen Rücken) so dass die Leute manchmal fragen: Hast Du da ein Polster oder sowas? Weil – ich hab ja Glasknochen. Vielleicht bricht da sonst was. Denken sich manche Leute. So schlimm ist es allerdings nicht. Man kann mit mir sogar im Bett rummachen, ohne dass es knack macht. Was aber bis Mitte Dreissig ja gar nicht vorkam, das Rummachen.  Weiterlesen

Junge Welt, Beilage Literatur/Leipziger Buchmesse, 17.3.2016

Übersehene Gewalt

Dass sie häufig Opfer von Gewalt und sexualisierter Gewalt werden haben behinderte Frauen schon vor Jahrzehnten publik gemacht – doch interessiert hat das nur wenige. Eine aktuelle Studie der Universität Bielefeld offenbart erst jetzt das ganze Ausmaß der Gewalt.

„Geschlecht behindert – besonderes Merkmal Frau“. So nannte im Jahr 1985 eine Gruppe von Autorinnen mit Behinderungen ihr Buch – eines der ersten über die Lebenssituation behinderter Frauen. Der Titel bringt es auf den Punkt: Als behindert zu gelten überschattet alles andere in der Wahrnehmung der nichtbehinderten Welt. Behinderung schlägt Gender – das wissen nicht nur behinderte Frauen, sondern auch behinderte Männer, die ebenso entsexualisiert und als Neutren wahrgenommen werden.

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Mondkalb – Zeitschrift für das Organisierte Gebrechen, 2012

Frauen mit Lernschwierigkeiten stärken

Zur Lebenssituation von Frauen in Werkstätten und Wohnheimen der Behindertenhilfe und zum inklusiven Projekt „Frauenbeauftragte in Einrichtungen“

Frauen mit Lernschwierigkeiten sind stärker benachteiligt als Männer mit Lernschwierigkeiten. Zum Beispiel bestätigen Studien, dass Frauen mit Lernschwierigkeiten überdurchschnittlich häufig Opfer von sexualisierter Gewalt werden. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen für Frauen in Einrichtungen der Behindertenhilfe können diese Benachteiligungen verstärken. Ein Pilotprojekt der Vereine Weibernetz e.V. und Mensch zuerst e.V., gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, hat in den vergangenen zwei Jahren Frauen mit Lernschwierigkeiten aus bundesweit 16 Einrichtungen zu Frauenbeauftragten ausgebildet. In ihren Werkstätten und Wohnheimen sollen sie Ansprechpartnerin für Frauen sein, sie stärken und ihre Rechte vertreten. Das inklusive Projekt, bei der die engagierte Mitarbeit von Frauen mit Lernschwierigkeiten eine große Rolle spielt, will so aktive Gewaltprävention und Schutz vor Benachteiligung fördern. Der Beitrag untersucht die gesellschaftlichen und sozialisationsbedingten Gründe für die Benachteiligung von Frauen mit Lernschwierigkeiten, erläutert die vergangene Projektarbeit sowie die Implementierung von Frauenbeauftragten in Einrichtungen. Weiterlesen

Zeitschrift für Inklusion, Inklusion-Online.net, #1/2011

Die Andere. Feminismus goes Krüppelpolitik.

 

  1. Wo sind wir? Überall…

Behinderte Frauen sind oft unsichtbar und unhörbar. Und doch gibt’s eine ganze Menge von ihnen: In Deutschland etwa 4 Millionen, weltweit sind der UN zufolge etwa 10 Prozent aller Mädchen und Frauen behindert. Für viele Frauen ist das Thema Behinderung eines, das sie nicht betrifft.

Die meisten haben das Gefühl, das bei ihnen alles funktioniert; sie gehören nicht dazu zu dieser Gruppe der Leute, die arm dran sind, weil sie keinen gesunden Körper haben. Das ist aber nur auf den ersten Blick so. Ich würde behaupten, dass jeder schon einmal Bekanntschaft mit dem Phänomen Behinderung gemacht hat, und sei es, dass sie oder er jemanden mit Behinderung kennt. Und außerdem werden wir alle früher oder später behindert, nämlich wenn wir alt werden – auch, wenn wir ungern darüber nachdenken.

Das Thema Körper ist eines, das in der Linken immer noch zu selten behandelt wird, obwohl es eine Menge Brisanz hat. Körper als ein politischer Gegenstand wird zwar in der Debatte um Gender behandelt – jedoch geht es hier weniger um Körper, die anders oder schwach sind. Im Kampf um Geschlechtergleichberechtigung ist oft vor allem der Körper angesagt, der stark und selbstbewusst auftreten kann – z.B. der Frauenkörper, der sich am Männerkörper messen lassen will.  Weiterlesen

Vortrag BUKO Konferenz Leipzig, 6.-9.4. 2007

Was nicht passt wird passend gemacht. Über das „Ashley-Treatment“ und die Zurichtung von zu kleinen und zu großen Körpern

Neulich bei Karstadt. Der dritte Stock ist schon eine Herausforderung. Der Knopf mit der Drei drauf ist verdammt weit oben. Also auf den Rolli stellen, den Arm weit ausstrecken. Beim Aussteigen kommt mir ein Kind entgegen, verwirrte Blicke. Fragen werden gestellt: Warum ist die Frau so klein? Ist sie noch Kind oder schon erwachsen? Weiterlesen

Mondkalb – Zeitung für das Organisierte Gebrechen, #1 2007