Vom Krüppel-Tribunal 1981 bis heute – ein kontinuierlicher Kampf um Gleichstellung

Das Jahr 1981 wurde zu einem entscheidenden Jahr für die Behindertenrechtsbewegung, an dessen Ende das sogenannte Krüppeltribunal in Dortmund stand, das am 13.Dezember 1981 abgehalten wurde. Was für Prozesse dieses Protestjahr gesellschaftlich und institutionell anstieß, und was ein Blick zurück für die heutige Behindertenbewegung bedeuten kann, das haben wir mit Sigrid Arnade vom Selbstbestimmt Leben e.V. und mit der Aktivistin Rebecca Maskos besprochen. Reinhören

Radio Corax, 12. Dezember 2018

Inklusion für alle statt neoliberalem Leistungsdenken – Redebeitrag auf der „Behindert & verrückt feiern Pride Parade Berlin“, 2017

Liebes Bündnis der Pride-Parade, liebe Zuhörer*innen, liebe Freaks, liebe Krüppel und Normalgestörte,

wir sollen uns integrieren – das wurde uns bis vor etwa zehn Jahren gesagt, und das wird auch heute noch Migrant*innen und Geflüchteten gesagt: Anpassen an die Gesellschaft, ihren Erwartungen gerecht werden, das war und ist mit dem Wort Integration gemeint. Integration hat jedoch eine kleine Schwester bekommen – die Inklusion. Inklusion sei ganz anders als Integration, sagen viele. Da müssten sich nicht die Einzelnen ändern und sich anpassen, sondern umkehrt – die inklusive Gesellschaft passt sich an die Einzelnen an. Die Gesellschaft baut sich so um, dass alle mitmachen können, egal welche Behinderung, welches Geschlecht, welche Herkunft eine Person hat und egal, wen sie liebt. Von diesem Umbau der Gesellschaft haben die meisten von uns wahrscheinlich bisher wenig gemerkt. Noch immer feiern Rassismus und Sexismus eine Party in den Köpfen vieler Menschen. Noch immer gibt es Zwangsbehandlungen, Isolationshaft, entwürdigende Praktiken in Heimen und Psychiatrien. Noch immer arbeitet die überwältigende Mehrheit aller Menschen mit Lernschwierigkeiten für ein Taschengeld in aussondernden Werkstätten. Noch immer müssen Menschen, die viel Assistenz brauchen, darum kämpfen, nicht in Heime abgeschoben zu werden – und das wird nun noch leichter möglich sein, seitdem es das Bundesteilhabegesetz gibt. Weiterlesen

Rede auf der 4. „Behindert und verrückt feiern Pride Parade Berlin“, 15.7.2017

Thesen zur Inklusion – Utopie einer besseren Gesellschaft oder neoliberale Anrufung behinderter Menschen?

Als Antwort auf Integration – die Aufnahme von „Abweichenden“ in die Mehrheitsgesellschaft – erdachten Teile der Behindertenbewegung den Begriff Inklusion. Gemeint war eine Gesellschaft, die nicht Anpassung einfordert, sondern sich auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten aller einstellt. Derart utopisch gedacht klingt Inklusion verlockend und als Konzept gegen Aussonderung hat der Begriff Schlagkraft. Wenn Inklusion jedoch auf neoliberale Realitäten trifft, in der jeder für sich selbst verantwortlich ist und vor allem Leistungsfähigkeit und Optimierung zählt, können neue Zwänge entstehen. Weiterlesen

Vortrag beim Zentrum für Disability Studies (ZeDiS), Universität Hamburg, 13.12.2016

„Im Knast gibt’s wenigstens eine Stunde Hofgang“

Mit 30 im Altenheim. Für den Dessauer Matthias Grombach war das vier Jahre lang Realität. Als er 15 Jahre alt war, hatte er einen schweren Unfall, seitdem ist er hochgradig querschnittgelähmt. Dreizehn Jahre pflegten ihn seine Eltern zuhause, bis es für sie gesundheitlich nicht mehr ging. Der nur als Notlösung gedachte Heimaufenthalt wurde zum Dauerzustand, aus dem Grombach sich nur durch einen langwierigen Rechtsstreit befreien konnte. Seit sieben Jahren lebt der 40-jährige in seinen eigenen vier Wänden, mit Hilfe sogenannter Persönlicher Assistenten. Als Vorstandsmitglied des Vereins »NITSA – Netzwerk für Inklusion, Teilhabe, Selbstbestimmung und Assistenz« berät er andere behinderte Menschen zum ambulanten Wohnen. Das geplante Bundesteilhabegesetz lässt ihn fürchten, dass er wieder ins Heim muss, und dass es anderen wie ihm ergehen kann. Deshalb engagiert er sich in der Protestbewegung gegen das Gesetz. Weiterlesen

Interview mit Matthias Grombach
Junge Welt, Beilage Behindertenpolitik, 14. 12. 2016

Pflegestufe drei und Spaß dabei! Ein kritischer Blick auf den Selbstbestimmungsbegriff der Behindertenbewegung

Im Juli 2013 zog die „Disability and Mad Pride Parade“ durch Berlin-Kreuzberg. „Behindert und verrückt feiern“, „Norm mich nicht voll“ oder „Pflegestufe 3 und Spaß dabei“ konnte man auf den Transparenten lesen. Rund 1.000 bis 1.500 Menschen, sichtbar und unsichtbar von Behinderung und psychiatrischen Diagnosen betroffen, feierten das „Nicht-Normal-Sein“ und erteilten dem rein medizinisch und defizitorientierten Blick auf Körper und Psyche eine radikal-glitzernde Absage: „Stell Dir vor, jemand entscheidet über Deinen Kopf, wo Du wohnst, oder wohin Du alleine gehen darfst. Stell Dir vor, jemand bestimmt, was Du isst, oder wen Du triffst. Unvorstellbar? Für manche von uns leider nicht!“, stand auf den Einladungsplakaten.
Hauptanliegen der Pride-Parade, die auch in der Tradition der emanzipatorischen Krüppel- und Behindertenbewegung steht, ist die Forderung nach einem selbstbestimmten Leben. „Independent Living“, das Kernkonzept der amerikanischen und britischen Behindertenbewegung, entwickelte sich in den frühen 80er Jahren auch in Deutschland zu einer der wichtigsten Leitlinien in der Behindertenpolitik.
Einer der deutschen Aktivisten der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung, Horst Frehe, fasst dies so zusammen: „Selbstbestimmt leben heißt, Kontrolle über das eigene Leben zu haben, basierend auf der Wahlmöglichkeit zwischen akzeptablen Alternativen, die die Abhängigkeit von den Entscheidungen anderer bei der Bewältigung des Alltags minimieren. (…) Unabhängigkeit (‚Independence‘) ist ein relatives Konzept, das jeder persönlich für sich bestimmen muß. Weiterlesen

GID – GENethischer Informationsdienst, Zeitschrift des GENethischen Netzwerks, Februar 2014

Lass zucken!

Die Pride Parade »Behindert und verrückt feiern« stellt die gesellschaftliche Norm in Frage und will die Macht der Scham brechen.

Auf der Berliner Urbanstraße wird es am kommenden Sonnabend zu Behinderungen kommen. Mit Blockaden durch glitzernde Rollstühle wird zu rechnen sein. Seltsame Vögel und Verrückte werden Anwohnerinnen und Anwohner irritieren. Ungewohnte Körper werden spastisch zucken zum wummernden Bass des Lautsprecherwagens. Aus Gehhilfen werden Tanzhilfen mit Stil. Weiterlesen

Jungle World # 28, 11. Juli 2013

 

Es sollte auch Spaß machen

Birgit Rothenberg, promovierte Diplom-Pädagogin, Beraterin für behinderte Studierende an der Uni Dortmund und Lehrende im Bereich Disability Studies, Vorstandsmitglied des Dortmunder Vereins „MOBILE – Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V.“ sowie Moderatorin des Dortmunder behindertenpolitischen „Aktionskreises“ erzählt von den Anfängen der Behindertenbewegung in Westdeutschland. Weiterlesen

Interview Mondkalb – Zeitung für das Organisierte Gebrechen, #1, 2012

Von der Fürsorge zur Selbstbestimmung. Wie behinderte Menschen in der BRD undankbar wurden

Weil sie den Anblick einer Gruppe behinderter Menschen an ihrem Urlaubsort hatte ertragen müssen, hatte eine Frau gegen ihren Reiseveranstalter geklagt. Mit Erfolg: Das Frankfurter Landgericht sprach ihr im Februar 1980 Schadensersatz zu. Gemeinsam mit den Behinderten den Speisesaal benutzen zu müssen sei unzumutbar, heißt es in der Urteilsbegründung: „Es ist nicht zu verkennen, dass eine Gruppe von Schwerbehinderten bei empfindsamen Menschen eine Beeinträchtigung des Urlaubsgenusses darstellen kann.“ Weiterlesen
Mondkalb – Zeitung des Organisierten Gebrechens, #1 2012

Wir klagen an

1981, vor 30 Jahren, hatte die UNO das „Internationale Jahr der Behinderten“ ausgerufen. In Deutschland wurde es unter das Motto „Einander verstehen – miteinander leben“ gestellt. Ein Hohn in den Augen vieler Menschen mit Behinderung, die in mehrfacher Hinsicht aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen waren. Es begann ein Jahr des Protests, das mit einer wegweisenden Veranstaltung, dem „Krüppeltribunal“, endete.

13. Dezember 1981 in Dortmund. Im evangelischen Schalomgemeindehaus sitzen rund 400 Menschen dicht gedrängt vor einer Bühne, unter ihnen viele Rollstuhlfahrer, an einigen Stühlen lehnen Krücken. Es ist laut. Immer wieder stehen Menschen auf, es gibt Zwischenrufe. „Ja genau, so ist es! Aber bei uns im Heim ist es noch viel schlimmer!“ Empörung liegt in der Luft. Auf dem Podium sitzen Frauen und Männer mit und ohne Behinderung an einem Tisch, hinter ihnen Transparente. „Rehabilitation spart Rente und Sozialhilfe“ steht auf dem einen, „Endstation Werkstatt“ auf einem anderen. Darüber hängt ein großes Plakat: Krüppeltribunal 1981. MENSCHEN_1.12_Krueppeltribunal

Menschen, #1/2012