Ein Stück Freiheit

Eine Willkommenskultur für Abhängigkeit von anderen ließe die Rufe nach aktiver Sterbehilfe leiser werden.

Wenn wir schon alle sterben müssen, dann bitte in Würde. So könnte man den Konsens der Deutschen zum Thema Tod und Sterben zusammenfassen. Was aber genau diese Würde sein soll bleibt nebulös. Manche wollen „nicht an Apparaten hängen“, nicht „vor sich hin vegetieren“, möglicherweise noch „an Schläuchen“. Anderen reicht es auch schon „tagtäglich auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein“, damit es für sie vorbei ist mit dem Leben in Würde. Oder sie finden es würdelos, „nicht mehr alleine Einkaufen gehen zu können“ oder sich gar von anderen Menschen „den Hintern abwischen zu lassen“. So oder ähnlich liest und hört man es alltäglich in den Online-Kommentaren und Talkshows der Republik. Mich lässt diese Vorstellung von Würde immer mit einem Kopfschütteln zurück. Als Rollstuhlfahrerin bin ich immer wieder „auf die Hilfe anderer angewiesen“ und fühle mich deshalb alles andere als entwürdigt. Für andere ein Symbol des Scheiterns, in dem man „landen“ könnte, bedeutet mein Rollstuhl für mich ein Stück Freiheit. Durch ihn komme ich überall hin – fast überall, so lange es Fahrstühle und Rampen gibt. Weiterlesen

Kommentar in der taz, 19.11.2015

Auf Abwegen. Der Shitstorm um Monika Lierhaus

Der Fall Monica Lierhaus zeigt, dass der Weg von der Akzeptanz individuellen Leidens an Behinderungen zu Euthanasiephantasien nur kurz ist.

Monica Lierhaus, wer war das noch gleich? Na, diese Sportmoderatorin, die bei der WM 2006 und bei der EM 2008 der deutschen Nationalelf das Mikro unter die Nase hielt. Die dann 2009 eine Hirnoperation hatte, bei der lebensgefährliche Komplikationen auftraten, weswegen sie vier Monate lang ins künstliche Koma versetzt wurde. Momentan steht die ehemalige »Sport­schau«-Moderatorin mal wieder im Zentrum medialer Aufmerksamkeit. Weiterlesen

Kommentar in der Jungle World # 31, 2015

Diagnose Mensch

Im Jungle World-Dossier »Die Angst vor der Norm« (25/2014) kritisierte Carsta Langner den Artikel »Das genormte Wunschkind« aus dem Sammelband »The Mamas and the Papas«. Eine Erwiderung.

Carsta Langner kritisiert in ihrem Dossier eine Debatte über Pränataldiagnostik (PND) und Präimplantationsdiagnostik (PID), die kaum noch ­jemand führt. Langner ist der Meinung, dass in »feministischen Kreisen« mehrheitlich eine »alarmistische Kritik« an Reproduktionstechnologien vorherrsche, als Beispiel dafür muss unser Artikel aus dem Sammelband »The Mamas and the Papas« herhalten. Vermutlich deshalb, weil in Wirklichkeit in der feministischen Debatte von Alice Schwarzer bis zu linksradikalen Feministinnen die Kritik an PND und PID die Ausnahme ist.

Eine relevante Bewegung gegen Gen- und Reproduktionstechnologien gab es nur in den achtziger Jahren. Heute gibt es unseres Wissens neben Einzelpersonen nur noch das »Gen-ethische Netzwerk« und das »Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik«, die eine Kritik an diesen Techniken äußern. Stattdessen entsprechen die meisten feministischen Positionen der Stoßrichtung des Jungle World-Dossiers: PND sei eine tolle Errungenschaft, die Frauen Selbstbestimmung ermögliche, jede Frau müsse selbst entscheiden können, ob sie ein behindertes Kind austrägt oder nicht. Als 2009 Ärzte dazu verpflichtet wurden, eine Beratung zu Spätabtreibungen durchzuführen, und eine Drei-Tage-Frist zwischen Diagnose der Behinderung und Abtreibung eingeführt wurde, war der Aufschrei in feministischen Kreisen groß, da diese Beratung das Selbstbestimmungsrecht der Frauen aushebele – ein absurder Vorwurf, da die Beratung nicht verpflichtend ist. Die Tatsache, dass es sich bei Spätabtreibungen, also bei Abtreibungen nach der 14. Woche, oftmals um die Abtreibung von Föten mit Behinderungen handelt, dass also eine Selektion stattfindet, wurde nicht skandalisiert. Weiterlesen

Text in Kooperation mit Andrea Trumann, Jungle World #29, 17. Juli 2014

Mal sehen wohin die Reise geht

„Einen Moment bitte, ich brauche absolute Ruhe“ sagt Reinhard Fißler. Er singt eine kurze Tonfolge ins Mikrofon, dann spricht er etwas hinein. Reinhard Fißler komponiert. Der ehemalige Sänger der Band Stern Combo Meißen arbeitet an einem neuen Song. Morgen will er eine erste Version im Studio aufnehmen, in Meißen, zusammen mit alten Musikerkollegen. „Da werd ich wohl noch bis Mitternacht dran arbeiten, ich muss mir meine Kräfte ein bisschen einteilen“, sagt Fißler. Weiterlesen

Mondkalb – Zeitung für das Organisierte Gebrechen, #1 2011